Fall des Eisernen Vorhangs

Gestaffelte Zäune, Wachtürme, Lichtanlagen: Die innerdeutsche Grenze war über Jahrzehnte ein fast undurchdringliches Bauwerk und wurde zum langjährigen Schrecken der deutschen Bevölkerung.

Ausschnitt Berliner Mauer

Über 90 Prozent der Fluchtversuche wurden von den Grenztruppen der DDR vereitelt, mehr als 1000 Menschen starben. Die Bewohner der DDR konnten die Grenzsperren nur selten mit eigenen Augen sehen. Eine weiträumige Sicherung des Hinterlandes verhinderte seit 1952, dass Unbefugte in die grenznahen Gebiete gelangen konnten. Die gestaffelte Absperrung ging auf sowjetische Weisungen zurück und bedeutete für Zehntausende den Verlust ihrer Heimat, weil sie unter dem Vorwand mangelnder Regimetreue zwangsweise in den Westen ausgesiedelt wurden. Nach dem Mauerbau im Jahr 1961 wurde die Grenze noch weiter abgeriegelt. Streckmetallzäune, Beton-Wach-türme, Sperrgräben, Minenfelder und Kettenlaufanlagen mit Hunden wurden errichtet. Ab 1971 kamen die berüchtigten Selbstschussanlagen hinzu, die bei getroffenen  Flüchtlingen schwerste Verletzungen hervorriefen. Zur Verhinderung von Grenzdurchbrüchen war dem SED-Regime jedes Mittel recht. Seit 1967 verpflichtete es die Grenzsoldaten ausdrücklich zur „Vernichtung“ von Flüchtenden, wenn eine „Grenzverletzung“ anders nicht verhindert werden konnte. 

Die Entstehung vertraglicher Beziehungen zwischen der DDR und der Bundesrepublik änderte an der Grenze zunächst wenig. Die erweiterten Besuchsmöglichkeiten für Westdeutsche, vor allem aber der wachsende Transit-verkehr nach West-Berlin führten jedoch zum Ausbau der Grenzübergangsstellen besonders an den Autobahnen. So entstanden bei Helmstedt und in Drewitz bei Berlin riesige Abfertigungsanlagen mit je rund 1000 Mitarbeitern, die jährlich mehrere Millionen Menschen kontrollierten.

Seit 1979 erfolgte zusätzlich eine Röntgendurchleuchtung aller Fahrzeuge, um eventuell versteckte Flüchtlinge ausfindig zu machen. Erst in den 1980er Jahren ließ sich die SED-Führung zu einer Änderung des Grenzregimes bewegen. Vor dem Hintergrund des vom CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß ausgehandelten Milliardenkredits ordnete sie an, die Todesautomaten an der Grenze abzubauen. Bis 1985 verschwanden auch die Erdminen. 

Allerdings entstand nun ein perfektionierter Grenzzaun mit stromführenden Signaldrähten, die jede Berührung registrierten. Um Grenzdurchbrüche auch ohne Waffengewalt zu verhindern, plante man für die 1990er Jahre die Einführung neuer Grenztechnik mit Licht- und Laserschranken, Infrarotkameras und  Mikrowellen. Doch dazu sollte es nicht mehr kommen.

Als am 9. November 1989, nach der versehentlichen Verkündung der Reisefreiheit durch das Politbüro-Mitglied Günter Schabowski, Hunderttausende Ost-Berliner nach West-Berlin drängten, öffneten die verdutzten Grenzer die Schlagbäume selbst und ermöglichten damit den friedlichen Fall des Eisernen Vorhangs in Deutschland.

Doch wie kam es zu diesem "Versehen", welches letztendlich zur Wiedervereinigung des Landes führte?

Schabowski spricht bei der Großdemonstration 1989

 

Die Verkündung der Reisefreiheit durch Genscher

Genscher in der DDR 1990

Angesichts des politischen und gesellschaftlichen Stillstands im Land entschliessen sich Ende der 1980er Jahre immer mehr Menschen, der DDR den Rücken zu kehren.

Allein im Sommer 1989 stellen 120 000 einen Antrag auf Ausreise in die Bundesrepublik.  Viele versuchen, durch die Besetzung bundesdeutscher Botschaften in Budapest, Warschau und Prag sowie der Ständigen Vertretung in Ost-Berlin ihre sofortige Ausreise zu erzwingen.

Bereits am 2. Mai 1989 hat Ungarn damit begonnen, die Grenzbefestigungen zu Österreich abzubauen. Doch die Grenze bleibt streng bewacht.

Am 19. August nutzen hunderte  Ostdeutsche das „Paneuropäische Picknick“ bei Sopron, zu dem das Ungarische Demokratische Forum und die Paneuropäische Bewegung Österreichs aufgerufen hatten, um über die ungarisch österreichische Grenze zu fliehen.

Damit hat der „Eiserne Vorhang“ erste Risse bekommen.

Nach intensiven Verhandlungen zwischen dem ungarischen Ministerpräsidenten Miklós Németh und Bundeskanzler Helmut Kohl sowie zwischen den Außenministern Gyula Horn und Hans-Dietrich Genscher gestattet die Regierung in Budapest schließlich vom 11. September an auch Ostdeutschen, aus Ungarn in jedes Land ihrer Wahl auszureisen. Die Flüchtlingszahlen schwellen daraufhin lawinenartig an. Innerhalb von drei Tagen kommen rund 15000 Menschen über Ungarn und Österreich in die Bundesrepublik. Auf Betreiben der DDR-Regierung schließt daraufhin das tschechoslowakische Regime für Ostdeutsche die Grenze nach Ungarn. Währenddessen spitzt sich die Situation in den bundesdeutschen Botschaften in Warschau und vor allem in Prag dramatisch zu. Da die Tschechoslowakei das einzige Land ist, in das Bürger der DDR ohne Vorlage eines Visums reisen können, wird Prag zum Anziehungs-punkt tausender Fluchtwilliger.

Bald harren auf dem Gelände der dortigen Botschaft mehrere tausend Menschen unter zum Teil katastrophalen Bedingungen auf ihre Ausreise in die Bundesrepublik. Erst nach langwierigen Verhandlungen mit der Regierung der DDR und mit dem sowjetischen Außenminister Eduard Schewardnadse kann Außenminister Genscher am Abend des 30. September 1989 auf dem Balkon der Botschaft den Flüchtlingen verkünden, dass ihre Ausreise genehmigt sei. Er beschreibt in seinen Erinnerungen diesen dramatischen Augenblick:

„Den Freudenschrei … werde ich nie vergessen. Ich … fühlte, dass an diesem Tage nicht nur die Tore der Prager Botschaft geöffnet wurden, sondern auch die Tore zur europäischen und zur deutschen Einheit.“

Der Strom der Flüchtlinge reißt danach nicht mehr ab. Die „Abstimmung mit den Füßen“, die von Beginn an zur Geschichte der DDR gehört hat, wird wieder zur Massenflucht. 


 

„Wir sind ein Volk“ – Der Weg zur Einheit

Demonstranten auf dem Alexanderplatz am 4. November 1989

Auch nach der Reisefreiheit und den nicht abreißenden Flüchtlingsströmen hören die "Kämpfe" um ein einheitliches Deutschland noch lange nicht auf.

Mit der Losung „Wir sind das Volk!“ drängen im Herbst 1989 hunderttausende Demonstranten in der DDR auf eine Reformierung des Landes unter ihrer Beteiligung. Von einer Auflösung der DDR und der Wiedervereini-gung Deutschlands ist auf ihren Transparenten anfangs dagegen kaum die Rede.

Das ändert sich mit dem Fall der Mauer rasch. Die Losung „Wir sind ein Volk!“, zwei Tage später erstmals von der Bild-Zeitung auf ihrer Titelseite propagiert und durch Aufkleber aus der CDU-Bundeszentrale später millionenfach im Osten verbreitet, gibt nun den Ton an.

Das Foto zeigt die große Menge an Demonstranten auf dem Alexanderplatz am 4. November 1989 in Berlin.

 

Montagsdemonstration in Leipzig, 9. Oktober 1989

Am 9. Oktober zogen vor allem Leipziger Bürger erstmals um den Innenstadtring. Davor lagen Wochen der Angst und des Bangens. Nach der Sommerpause waren die Friedensgebete in der Nikolaikirche, trotz Drohungen der Staats­macht, wieder aufgenommen worden. Die Staatssicherheit notierte gereizt: „Auf heißen Montagabend einstellen. Kirche wird voll sein zum Bersten, umla­gert von Journalisten.“ Zeitgleich fand traditionell die Herbstmesse statt.

Viele Korrespondenten westlicher Medien waren in der Stadt. Am Abend des 4. September 1989 kam es zur erwarteten Eskalation. Bürgerrecht­ler entrollten nach dem Friedensgebet auf dem Nikolaikirchhof Trans-parente. „Für ein offenes Land mit freien Men­schen“, „Reisefreiheit statt Massen­flucht“ und „Versammlungsfreiheit –Reisefreiheit“ war auf ihnen für ein paar wenige Augenblicke zu lesen, dann rissen die Stasimitarbeiter sie herunter.

Montagsdemonstration in Leipzig

Bundeskanzler Helmut Kohl, vom Mauerfall während eines Staatsbesuchs in Polen überrascht, betont gegenüber den westlichen Verbündeten wie auch gegenüber Michail Gorbatschow, „dass jetzt endgültig der Zeitpunkt gekommen sei, Reformen in der DDR durchzuführen“.

Jede Radikalisierung dieser Entwicklung solle vermieden werden, gerade weil mit dem Mauerfall „langfristig“ ein Einigungs-prozess in Deutschland möglich geworden sei.

Die Übersiedlerströme aus der DDR halten unvermindert an, als am 23. November der engste Kreis um Kohl mit der Erarbeitung eines international tragfähigen Konzepts über „den Weg zur deutschen Einheit in Zusammenarbeit mit der DDR“ beginnt. Angezielt wird eine Föderation beider deutscher Staaten. 

Das Foto zeigt das Ausmaß der Montagsdemonstration in Leipzig.

 

Am 28. November verkündet der Kanzler im Bundestag sein Zehn-Punkte-Programm. Er bietet sich der DDR-Bevölkerung damit als Schrittmacher der Einheit an. Die DDR-Regierung unter Hans Modrow reagiert mit Abwehr: Dies sei eine "Einmischung in ihre Souveränität“ unter „Missachtung der Realitäten“. Der Mehrheit des Volkes ginge es, ließ sie Kohl wissen, um die Erneuerung einer souveränen DDR. Dem scheint auch der Aufruf „Für unser Land“ Recht zu geben, den am selben Tag namhafte Künstler, Wissenschaftler und Bürgerrechtler der DDR veröffentlichen.

Umfragen unter den Leipziger Demonstranten belegen jedoch, dass 66 Prozent Kohls Zehn-Punkte-Programm zu stimmen, ein Drittel davon ohne Abstriche. Die friedliche Revolution tritt in ihre nationale Phase ein. Sichtbar wird dies beim Aufenthalt Kohls in Dresden am 19. Dezember, wo er mit Modrow zu Gesprächen zusammentrifft. 

Zehntausende begrüßen ihn begeistert. Angesichts des schwarz-rot-goldenen Fahnenmeeres und der „Deutschland einig Vaterland“-Rufe bei der Kundgebung vor der Ruine der Frauenkirche reift in Kohl die Überzeugung, die Einheit Deutschlands nun direkt anzustreben.

Die Bürgerbewegung der DDR, die dagegen weiterhin eine schrittweise Lösung der deutschen Frage bevorzugt, die der DDR möglichst viel Eigenständigkeit ließe, tritt noch Anfang Februar 1990 mit Modrow in eine gemeinsame „Regierung der nationalen Verantwortung“ ein. Doch längst sind auf der internationalen Ebene die entscheidenden Weichen in Richtung Wiedervereinigung gestellt.

Die Demonstrationen von Leipzig wurden zum Vorbild für die Bürger in vielen Städten der DDR. Neun Tage später trat SED­ Chef Erich Honecker von allen Posten zurück. Am 9. Novem­ber fiel die Mauer. Fortan bestimmte der Spruch „Wir sind ein Volk!“ den weiteren Verlauf Jahres 1989.

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