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Anne Frank wurde am 12. Juni 1929 in Frankfurt am Main als jüngste Tochter einer alteingesessenen jüdischen Familie geboren. Bis zur Machtergreifung Adolf Hitlers verlief ihr Leben in ruhigen Bahnen, 1933 wanderten die Franks dann nach Amsterdam aus. Mit der deutschen Besetzung der Niederlande 1940 verschlimmerten sich aber auch dort die Lebensumstände für Juden. 1942 tauchte die Familie deshalb unter, wurde 1944 jedoch entdeckt und verhaftet. Unvergessen ist Anne Frank bis heute durch ihr Tagebuch, das sie während der zwei Jahre im Versteck führte.

Anne Frank

 

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Inhalt

1. Erster Tagebucheintrag Anne Franks vom 12. Juni 1942 (Dokument 1)

  • Übersetzung

2. Letzter Tagebucheintrag Anne Franks vom 01. August 1944 (Dokument 2)

  • Übersetzung

 

1. Erster Tagebucheintrag Anne Franks vom 12. Juni 1942

12. Juni 1942

Ich werde, hoffe ich, dir alles anvertrauen können, wie ich es noch bei niemandem gekonnt habe, und ich hoffe, du wirst mir eine große Stütze sein.

 

28. September 1942 (Nachtrag)

Ich habe bis jetzt eine große Stütze an dir gehabt. Auch an Kitty, der ich jetzt regelmäßig schreibe. Diese Art, Tagebuch zu schreiben, finde ich viel schöner, und ich kann die Stunde fast nicht abwarten, wenn ich Zeit habe, in dich zu schreiben.

Ich bin, oh, so froh, dass ich dich mitgenommen habe!


 

1. Letzter Tagebucheintrag Anne Franks vom 01. August 1944

Dienstag, 1. August 1944

Liebe Kitty,

»Ein Bündelchen Widerspruch!« Das ist der letzte Satz meines vorigen Briefes und der erste von meinem heutigen. »Ein Bündelchen Widerspruch«, kannst du mir genau erklären, was das ist? Was bedeutet Widerspruch? Wie so viele Worte hat es zwei Bedeutungen, Widerspruch von außen und Widerspruch von innen. Das Erste ist das normale »sich nicht zufrieden geben mit der Meinung anderer Leute, es selbst besser zu wissen, das letzte Wort zu behalten«, kurzum, alles unangenehme Eigenschaften, für die ich bekannt bin. Das Zweite, und dafür bin ich nicht bekannt, ist mein Geheimnis. Ich habe dir schon öfter erzählt, dass meine Seele sozusagen zweigeteilt ist. Die eine Seite beherbergt meine ausgelassene Fröhlichkeit, die Spöttereien über alles, Lebenslustigkeit und vor allem meine Art, alles von der leichten Seite zu nehmen. Darunter verstehe ich, an einem Flirt nichts zu finden, einem Kuss, einer Umarmung, einem unanständigen Witz. Diese Seite sitzt meistens auf der Lauer und verdrängt die andere, die viel schöner, reiner und tiefer ist. Nicht wahr, die schöne Seite von Anne, die kennt niemand, und darum können mich auch so wenige Menschen leiden. Sicher, ich bin ein amüsanter Clown für einen Nachmittag, dann hat jeder wieder für einen Monat genug von mir. Eigentlich genau dasselbe, was ein Liebesfilm für ernsthafte Menschen ist, einfach eine Ablenkung, eine Zerstreuung für einmal, etwas, das man schnell vergisst, nicht schlecht, aber noch weniger gut. Es ist mir unangenehm, dir das zu erzählen, aber warum sollte ich es nicht tun, wenn ich doch weiß, dass es die Wahrheit ist? Meine leichtere, oberflächliche Seite wird der tieferen immer zuvorkommen und darum immer gewinnen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie oft ich nicht schon versucht habe, diese Anne, die nur die Hälfte der ganzen Anne ist, wegzuschieben, umzukrempeln und zu verbergen. Es geht nicht, und ich weiß auch, warum es nicht geht. Ich habe große Angst, dass alle, die mich kennen, wie ich immer bin, entdecken würden, dass ich eine andere Seite habe, eine schönere und bessere. Ich habe Angst, dass sie mich verspotten, mich lächerlich und sentimental finden, mich nicht ernst nehmen. Ich bin daran gewöhnt, nicht ernst genommen zu werden, aber nur die »leichte« Anne ist daran gewöhnt und kann es aushalten. Die »schwerere« ist dafür zu schwach. Wenn ich wirklich einmal mit Gewalt für eine Viertelstunde die gute Anne ins Rampenlicht gestellt habe, zieht sie sich wie ein Blümchen-rühr-mich-nicht-an zurück, sobald sie sprechen soll, lässt Anne Nr. 1 ans Wort und ist, bevor ich es weiß, verschwunden. In Gesellschaft ist die liebe Anne also noch nie, noch nicht ein einziges Mal, zum Vorschein gekommen, aber beim Alleinsein führt sie fast immer das Wort. Ich weiß genau, wie ich gern sein würde, wie ich auch bin ... von innen, aber leider bin ich das nur für mich selbst. Und das ist vielleicht, nein, ganz sicher, der Grund, warum ich mich selbst eine glückliche Innennatur nenne und andere Menschen mich für eine glückliche Außennatur halten. Innerlich weist die reine Anne mir den Weg, äußerlich bin ich nichts als ein vor Ausgelassenheit sich losreißendes Geißlein. Wie schon gesagt, ich fühle alles anders, als ich es ausspreche. Dadurch habe ich den Ruf eines Mädchens bekommen, das Jungen nachläuft, flirtet, alles besser weiß und Unterhaltungsromane liest. Die fröhliche Anne lacht darüber, gibt eine freche Antwort, zieht gleichgültig die Schultern hoch, tut, als ob es ihr nichts ausmacht. Aber genau umgekehrt reagiert die stille Anne. Wenn ich ganz ehrlich bin, muss ich dir bekennen, dass es mich trifft, dass ich mir unsagbar viel Mühe gebe, anders zu werden, aber dass ich immer wieder gegen stärkere Mächte kämpfe. Es schluchzt in mir: Siehst du, das ist aus dir geworden: schlechte Meinungen, spöttische und verstörte Gesichter, Menschen, die dich unsympathisch finden, und das alles, weil du nicht auf den Rat deiner guten Hälfte hörst. Ach, ich würde gern darauf hören, aber es geht nicht. Wenn ich still oder ernst bin, denken alle, dass das eine neue Komödie ist, und dann muss ich mich mit einem Witz retten. Ganz zu schweigen von meiner eigenen Familie, die bestimmt glaubt, dass ich krank bin, mir Kopfwehpillen und Beruhigungstabletten zu schlucken gibt, mir an Hals und Stirn fühlt, ob ich Fieber habe, mich nach meinem Stuhlgang fragt und meine schlechte Laune kritisiert. Das halte ich nicht aus, wenn so auf mich aufgepasst wird, dann werde ich erst schnippisch, dann traurig, und schließlich drehe ich mein Herz wieder um, drehe das Schlechte nach außen, das Gute nach innen und suche dauernd nach einem Mittel, um so zu werden, wie ich gern sein würde und wie ich sein könnte, wenn ... wenn keine anderen Menschen auf der Welt leben würden.

Deine Anne M. Frank