Er ist wohl eine der berühmtesten Begebenheiten des deutschen Hochmittelalters: Der Bußgang Heinrichs IV. (1056–1106) zu Papst Gregor VII. (1073–1085) auf die Burg von Canossa im Winter 1076/77. Auf diese sprichwörtlich gewordene Episode bezog sich noch rund 800 Jahre später der deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck auf dem Höhepunkt des „Kulturkampfes“ gegenüber seinen Gegnern mit den Worten „Seien Sie außer Sorge, nach Kanossa gehen wir nicht“.
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1. Übersetzungen
Dictatus Papae. In: Register Papst Gregors VII. (um 1075)
Vatikanisches Geheimarchiv, Vatikan, Reg. Vat. 2, fol. 80r–81v
Leitsätze des Papstes
I. Die römische Kirche ist von dem Herrn allein gegründet.
II. Nur der römische Bischof wird rechtmäßig der allgemeine genannt.
III. Er allein kann Bischöfe absetzen oder wiedereinsetzen.
IV. Sein Legat [Gesandter] steht im Konzil über allen Bischöfen, auch wenn er
niedrigeren Rang hat, und er kann gegen sie das Absetzungsurteil aussprechen.
V. Der Papst kann Abwesende absetzen.
VI. Mit den von ihm Exkommunizierten dürfen wir unter anderem nicht im selben
Hause weilen.
VII. Er allein darf, wenn es die Umstände erfordern, neue Gesetze erlassen, neue
Gemeinden bilden, aus einem Stift eine Abtei machen und umgekehrt ein reiches
Bistum teilen und arme zusammenlegen.
VIII. Er allein darf die kaiserlichen Abzeichen tragen.
IX. Nur des Papstes Füße haben alle Fürsten zu küssen.
X. Nur sein Name wird in den Kirchen genannt.
XI. Dieser Name ist einzig in der Welt.
XII. Er darf Kaiser absetzen.
XIII. Er darf, wenn nötig, Bischöfe von einem Sitz auf einen andern versetzen.
XIV. Er kann von jeglicher Kirche, wohin er immer will, einen Geistlichen einsetzen.
XV. Ein von ihm Eingesetzter kann einer anderen Kirche vorstehen, aber nicht dienen;
und er darf nicht von irgendeinem Bischof einen höheren Rang einnehmen.
XVI. Keine Synode darf ohne seine Einwilligung eine allgemeine genannt werden.
XVII. Kein Rechtssatz oder Buch darf ohne seine Genehmigung als kanonisch
angesehen werden.
XVIII. Sein Spruch darf von niemandem verworfen werden, er allein kann die Urteile
aller verwerfen.
XIX. Er selbst darf von niemandem gerichtet werden.
XX. Niemand soll wagen, jemanden zu verurteilen, der an den Apostolischen Stuhl appelliert.
XXI. Alle wichtigeren Fälle jeder Kirche müssen vor diesen gebracht werden.
XXII. Die römische Kirche hat niemals geirrt und wird auch künftig nach dem Zeugnis
der Schrift niemals irren.
XXIII. Der römische Bischof wird, wenn kanonisch eingesetzt, durch die Verdienste des
seligen Petrus unzweifelhaft heilig, so besagt das Zeugnis des heiligen Bischofs Ennodius
von Pavia, das durch viele heilige Väter gestützt wird, wie in den Dekreten des seligen
Papstes Symmachus steht.
XXIV. Auf seinen Befehl und mit seiner Erlaubnis dürfen Untertanen Klage erheben.
XXV. Ohne Mitwirkung einer Synode kann er Bischöfe absetzen und wieder einsetzen.
XXVI. Niemand gelte als Katholik, der nicht mit der römischen Kirche übereinstimmt.
XXVII. Er kann Untertanen von der Treueverpflichtung gegen Ungerechte lösen.
Absagebrief Heinrichs IV. an Gregor VII. In: Codex Udalrici
Österreichische Nationalbibliothek, Wien, Cod. 398, fol. 72r–73v
Der Text beginnt fol. 72v in der rechten Spalte: „H[einricus] non usurpative, sed pia dei
ordinatione rex …“
Heinrich, nicht durch Anmaßung, sondern durch Gottes heilige Einsetzung König, an
Hildebrand, den falschen Mönch, nicht mehr Papst.
Solchen Gruß hast du zu deiner Beschimpfung verdient, der du keinen Stand in der Kirche
verschont, sondern alle der Schmach, nicht der Ehre, des Fluches, nicht der Segnung teilhaftig
gemacht hast. Denn um von vielem nur weniges und zwar das Hervorragende anzuführen:
die Leiter der heiligen Kirche, nämlich die Erzbischöfe, Bischöfe, Priester, die Gesalbten des
Herrn, hast du nicht nur nicht gescheut anzutasten, sondern wie Knechte, die nicht wissen,
was ihr Herr tut, hast du sie unter deine Füße getreten; und durch deren Misshandlung hast
du dir Lob von dem Munde der Masse bereitet; sie alle, so urteilst du, wüssten nichts, du
aber allein verstündest alles. Diese Wissenschaft jedoch hast du dich bemüht nicht zum
Aufbauen, sondern zum Zerstören anzuwenden, sodass wir mit Recht glauben, der selige
Gregor, dessen Namen du dir angemaßt hast, habe von dir geweissagt, indem er also sprach:
„Durch die große Zahl der Untergebenen wird meistens der Sinn des Vorgesetzten
hochfahrend, und er wähnt, dass er mehr als alle verstehe, da er sieht, dass er mehr als alle
vermöge.“ Und wir haben alles dies ertragen, da wir des Apostolischen Stuhles Ehre zu
wahren suchten. Du aber betrachtetest unsere Demut für Furcht und scheutest dich deshalb
nicht, gegen die von Gott uns verliehene königliche Gewalt selber dich zu erheben, und hast
gewagt zu drohen, du werdest sie uns entreißen, gleich als ob wir von dir das Reich
empfangen hätten, als ob die Königs- oder Kaiserkrone in deiner, nicht in Gottes Hand sei,
in der Hand unseres Herrn Jesu Christi, der uns zur Herrschaft, dich aber nicht zum
Priestertum berufen hat. Du nämlich bist auf diesen Stufen emporgestiegen: Durch Schlauheit
hast du, was doch das Mönchsgelübde verabscheut, Geld, durch Geld Gunst, durch Gunst
Waffengewalt, durch Waffen den Stuhl des Friedens erlangt, und vom Stuhle des Friedens
hast du den Frieden verscheucht, indem du die Untergebenen gegen die Vorgesetzten
bewaffnetest, indem zur Verachtung unserer von Gott berufenen Bischöfe du, der
Nichtberufene, anleitetest, indem du den Laien das Amt derselben über die Priester anmaßlich
beigelegt hast, auf dass sie selbst diejenigen absetzen oder verdammen, denen sie von der
Hand des Herrn durch die Auflegung der Hände der Bischöfe zur Unterweisung übergeben
waren. Mich auch, der ich, wenngleich unwürdig, unter den Gesalbten zur Herrschaft
geweiht bin, hast du angetastet, da doch die Überlieferung der heiligen Väter gelehrt hat,
dass ich von Gott allein zu richten sei, und erklärt hat, dass ich um keines Vergehens willen
entsetzt werden dürfe, ich wäre denn, was ferne sei, vom Glauben abgeirrt. Denn selbst Julian,
den Abtrünnigen, zu richten und zu entsetzen, wies die Weisheit der Bischöfe nicht sich,
sondern Gott allein zu. Selbst der selige Petrus, wahrhaftiger Papst, ruft aus: „Gott fürchtet,
den König ehret“ [1. Petr. 2,17]. Du aber, weil du Gott nicht fürchtest, verunehrst mich, den
von ihm Verordneten. Daher hat der selige Paulus, wo er den Engel vom Himmel, wenn er
anderes predigte, nicht geschont hat, auch dich, der du auf Erden anderes lehrst, nicht
ausgenommen. Denn er sagt: „So irgend jemand, ob ich oder auch ein Engel vom Himmel,
anderes, denn wir gepredigt haben, als Evangelium euch predigen würde, der sei verflucht“
[Galater 1,8]. Du also durch diesen Fluch und aller unserer Bischöfe Urteil und das unsrige
verdammt, steige herab, verlassen den angemaßten Apostolischen Stuhl! Ein anderer besteige
den Thron des seligen Petrus, der keinerlei Gewalttat unter der Religion birgt, sondern des
seligen Petrus lautere Lehre verkünde. Ich Heinrich, König von Gottes Gnaden, und alle
unsere Bischöfe, wir sagen dir: „Steig herab, steig herab, du für alle Zeiten zu
Verdammender!“
Der Brief endet fol. 73r in der rechten Spalte: „Ego, H. dei gratia rex cum omnibus episcopis
nostris tibi dicimus: descende, descende!“
(Übersetzung von H. E. Krämer)