Die Bedeutung eines frühmittelalterlichen Herrschers maß sich vor allem an seinem militärischen Erfolg. So bestehen zeitgenössische Chroniken wie die „Sachsengeschichte“ (Res Gestae Saxonicae) des Mönchs Widukind zum Großteil aus Schilderungen von Kriegszügen und Schlachten. Besondere Aufmerksamkeit widmete Widukind einem Ereignis aus dem Jahre 955, das als „Schlacht auf dem Lechfeld“ bekannt ist und als Wendepunkt in der Geschichte des ostfränkisch-deutschen Reiches der Ottonenzeit (919–1024) gilt.
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Schilderung der Lechfeldschlacht 955 aus Augsburger Sicht in der Vita des hl. Ulrich, Gerhard von Augsburg, Vita Sancti Uodalrici (Dok. 1)
Transkription
Bello vero finito • regrediens circuivit civitatem • et domos belli in circuitu
civitatis congruenter ponere • et in tota nocte eas aedificare et vallos •
quantum tempus subpetebat • renovare praecepit • Ille autem totum
spatium noctis in oratione pernoctans • religiosas mulieres in civitate
congregatas concitabat • ut una pars earum cum crucibus ad dominum
devote clamando circumirent • et altera pars clementiam sanctae dei
genitricis mariae pro defensione populi • et pro liberatione civitatis
studiosissime pavimento prostrata flagitaret • Ipse autem minimam
particulam noctis • ante matutinam horam corpus requiei soporis indulsit •
ut matutinis laudibus expletis • aurora primum inrumpente salutaris
sacrifitii hostiam deo libare licuisset • Ministerio sacro peracto • viatico
sacro omnes recreavit • humilique ammonitione persuasit • ut in fide recta
persistentes • spem suam in dominum componere non dubitarent •
Indicens eis omnigenam sponsionem consolationis • et adnunciens
psalmigraphi david verba dicentis • Si ambulavero in medio umbrae mortis
• non timebo mala quoniam tu mecum es •
Salubri autem ammonicione episcopi peracta • cum iubar radiantis solis
primum latitudinem telluris irradiaret • exercitus ungrorum inenarrabili
pluritate ex omni parte ad expugnandam civitatem circumcinxit • diversa
ferens instrumenta ad depositionem murorum • Cumque undique parati
essent ad bellum • et cuncta propugnacula civitatis repugnantium plena
fuissent • quidam ungrorum flagellis alios minantes ad pugnandum
coegerunt • et illi tantam multitudinem in propugnaculis resistentium eis
videntes muris se coniungere a deo perterriti non audebant • Interim cum
interius exteriusque parati essent ad bellum • peretholdus filius arnolfi • de
castello risinesburc vocitato • venit ad regem ungrorum adnuntians ei
adventum ottonis gloriosi regis • Qui ut hoc audivit • suum classicum omni
exercitu notum clangere praecepit • De cuius sonitu exercitus totus
pugnam civitatis omisit • et ad colloquium eorum regis se coniungere
festinavit • Qui cum eis autumatione facta • deo donate a pugna civitatis
cessabat • et in occursum gloriosi regis ire coepit• Ea ratione ut illo cum
suis superato victor rediens • civitatem et totum regnum libere habere
potuisset • Regi ottoni venienti • Dietpaldus comes frater episcopi cum
caeteris qui in civitate erant • nocte exiens in occursum regis venit •
Rex igitur cum tantum exercitum ungrorum perspexisset • aestimavit non
posse ab hominibus superari • ni deus omnipotens eos occidere dignaretur
• in cuius adiutorium confidens • suorumque consolationibus principum
roboratus • bellum viriliter cum eis agere coepit • et cum mutua caede
utrobique caecidissent • Et his interfectis qui ad occisionem a deo
predestinati erant • gloriosa victoria ottoni regi • a deo cui nihil inpossibile
est data est • ita ut exercitus ungrorum in fuga versus • virtutem praeliandi
ultra non haberet • et quamvis incredibilis numerus illorum occisus fuisset
• tantus tamen adhuc exercitus eorum remanebat • ut hi qui de
propugnaculis auguste civitatis eos venire conspexerunt • non pugna
lacessatos eos redire estimaverunt • donec praetereuntes civitatem ulteriora
lici fluminis litora festinando repetere cognoverunt • Rex autem cum suis
eos sequens • et quibus se coniungere potuit occidens • vespertina hora
diei ad augustam pervenit • ibique cum episcopo illam noctem ducens •
eique magnam consolationis relevationem faciens de dietpaldo fratre eius •
qui in bello occisus est • et de aliis propinquis eius ibidem interfectis •
Rivuinum filium dietpaldi comitatibus patris honoravit • episcopique fido
adiutorio in quibuscumque eius desiderium cognovit • dignam mercedem
restituit • Mane autem facto fugitivas barbarorum acies sequendo •
regionem baioariorum revisit • festinisque legatis missis • tota remigia et
vada fluminum observare praecepit ad occisionem eorum • Quod et ita
factum est • Illi autem nocte illuc venientes • quidam eorum ab his qui in
navibus erant fluminibus inmersi sunt • quidam occisi sunt • Qui autem ad
litus pervenerunt ab his qui litora observabant • interfecti sunt • nulla eis
via et nullum devium ab eis inveniri potuit • ni in omni loco vindicta
domini super eos manifeste maneret • ita etiam ut non post multos dies •
reges eorum et principes comprehensi • et ad radesponam perducti • in
ignominiam gentis eorum cum aliis multis eorum comprovincialibus eculeo
suspenderentur •
[Die Transkription beginnt in der zweiten Hälfte der zweiten Zeile und endet vor dem mit „Potentium“ beginnenden Absatz.]
Übersetzung
Als der Kampf nun zu Ende war, kehrte er zurück, ging durch die Stadt und
befahl, rings um die Stadt in passender Weise Festungswerke anzulegen, an
ihnen während der ganzen Nacht zu bauen und die Verschanzung, soweit
die Zeit reichte, wieder instand zu setzen. Er aber verharrte die ganze Nacht
über im Gebet, rief die in der Stadt versammelten frommen Frauen
zusammen, damit ein Teil von ihnen mit Kreuzen unter frommer Anrufung
des Herrn Prozessionen abhalte, der andere Teil die Milde der heiligen
Gottesmutter Maria um Verteidigung des Volkes und um Befreiung der Stadt
auf das eifrigste auf dem Boden hingestreckt erflehe. Er selbst aber überließ
nur während eines ganz kleinen Teils der Nacht vor der Matutin seinen Leib
der Ruhe des Schlafs, um nach Vollendung des Lobgebets der Matutin,
sobald sich erst die Morgenröte zeigte, Gott die heilbringende Opfergabe
darbringen zu können. Nach Beendigung des heiligen Dienstes erquickte er
alle mit der heiligen Wegzehrung und überzeugte sie in demütiger
Ermahnung, dass sie im rechten Glauben verharrend nicht zögern sollten,
ihre Hoffnung auf den Herrn zu setzen. Er nannte ihnen viele trostvolle
Worte und verkündigte ihnen die Worte des Psalmisten David: ‚Ob ich auch
mitten durch Todesschatten wandelte, fürchte ich doch kein Unheil, bist du
doch bei mir’.
Als aber die heilsame Ermahnung des Bischofs beendet war und das
Sonnengestirn gerade die ganze Weite des Erdkreises erleuchtete,
umzingelte das Heer der Ungarn mit einer unsagbaren Menge von allen
Seiten die Stadt zur Eroberung. Es führte diverse Werkzeuge mit sich, um
die Mauern niederzureißen. Als sie auf beiden Seiten kampfbereit standen
und alle Bollwerke der Stadt voller Verteidiger standen, trieben einige unter
den Ungarn die anderen, indem sie mit Peitschen drohten, zum Kampf, und
jene wagten sich nicht – von Gott erschreckt – an die Mauern heran, da sie
die große Menge derer sahen, die ihnen auf den Bollwerken Widerstand
leisteten. Indessen, als sie so innen und außen kampfbereit standen, kam
Berthold, der Sohn des Arnulf, von der Reisensburg genannten Burg zum
Ungarnkönig und kündigte ihm das Nahen des ruhmreichen Königs Otto
an. Als er das hörte, ließ er sein im ganzen Heer bekanntes Signal ertönen.
Auf dessen Klang hin ließ das ganze Heer vom Kampf um die Stadt ab und
beeilte sich, an der Besprechung mit seinem König teilzunehmen. Als er mit
ihnen beraten hatte, nahm er durch Gottes Gabe Abstand vom Kampf um
die Stadt und begann, dem ruhmreichen König entgegenzuziehen in der
Überlegung, dass er nach Überwindung [des Königs] und der Seinen als
Sieger zurückkehren und die Stadt und das ganze Königreich in aller
Freiheit haben könne. Als König Otto heranrückte, zog Graf Dietpald, der
Bruder des Bischofs, mit anderen, die in der Stadt waren, nachts hinaus,
dem König entgegen.
Als nun der König das gewaltige Heer der Ungarn sah, glaubte er nicht, dass
es von Menschen überwunden werden könnte, es sei denn, der allmächtige
Gott wollte sie töten. Auf seine Hilfe vertrauend und gestärkt durch die
trostvollen Reden seiner Fürsten begann er mannhaft den Kampf mit ihnen
zu führen, und nachdem in wechselseitigem Gemetzel auf beiden Seiten
[viele] fielen und die getötet worden waren, die von Gott zum Tod be-
stimmt worden waren, wurde von Gott, dem nichts unmöglich ist, der
ruhmreiche Sieg König Otto gegeben, so dass das Ungarnheer die Flucht
ergriff und keine Kampfkraft mehr hatte. Und obwohl eine unglaubliche
Zahl von ihnen getötet war, verblieb von ihnen doch noch ein so großes
Heer, dass die, die sie von den Bollwerken der Stadt Augsburg kommen
sahen, glaubten, sie kehrten zurück, ohne vom Kampf beeinträchtigt zu
sein, bis sie sahen, dass sie an der Stadt vorbei eilends ans andere Ufer des
Lechflusses strebten. Der König aber setzte ihnen mit den Seinen nach,
tötete die, die er noch einholen konnte, und gelangte in der Abendstunde
des Tages nach Augsburg. Er verbrachte dort die folgende Nacht beim
Bischof und verschaffte ihm viel trostvolle Erleichterung wegen seines
Bruders Dietpald, der in der Schlacht gefallen war, und wegen anderer
seiner Verwandten, die in ihr ebenfalls den Tod gefunden hatten. Er
zeichnete Riwin, Dietpalds Sohn, durch [Verleihung der] Grafschaften seines
Vaters aus und zollte der treuen Hilfe des Bischofs würdigen Lohn in allem,
wo immer er seinen Wunsch erkennen konnte. Sobald es aber Morgen
wurde, folgte er den flüchtigen Schlachtreihen der Barbaren, kam wieder
ins Bayernland und befahl durch eilig ausgesandte Boten, dass alle
Bootsplätze und Furten der Flüsse bewacht würden, um [die Ungarn] zu
töten. So geschah es auch. Als sie nun nachts dort ankamen, wurden sie
teils von denen, die auf Schiffen waren, in die Flüsse geworfen, teils
getötet. Die aber, die das Ufer erreichten, wurden von denen getötet, die
die Ufer bewachten. Kein Weg [stand] ihnen [offen], und kein Schleichweg
konnte von ihnen gefunden werden; an jedem Ort wartete auf sie offen die
Rache des Herrn, so dass nach wenigen Tagen auch ihre Könige und
Fürsten gefasst waren, nach Regensburg geführt wurden und zur Schmach
für ihr Volk mit vielen anderen ihrer Landsleute am Galgen gehenkt
wurden.
(Quelle: Berschin, Walter/ Häse, Angelika: Gerhard von Augsburg – Vita Sancti Uodalrici. Die älteste Lebensbeschreibung des heiligen Ulrich (lateinisch – deutsch) zugleich: Editiones Heidelbergensis, Bd. 24, Heidelberg 1993, S. 194-203.)
Schilderung der Schlacht in den Annales Sangallenses maiores (Dok. 2)
Transkription
Otto rex cum Agarenis pugnabat in festivitate sancti Laurentii, eosque Deo
auxiliante devicit. Et erat numerus eorum 100 milia et multi illorum
comprehensi sunt cum rege eorum nomine Pulszi, et suspensi sunt in
patibulis. Et aliud bellum cum eis gerebatur a Poemanis, ubi comprehensus
est rex illorum nomine Lele, extincto exercitus eius.
Übersetzung
König Otto kämpfte mit den Awaren (Ungarn) am Festtag des heiligen
Laurentius (10. August) und hat sie mit Gottes Hilfe völlig besiegt. Und es
betrug ihre Zahl 100 Tausend, und viele von ihnen sind mit ihrem König
Pulszi gefangen genommen und an Galgen aufgehängt worden. Und ein
anderer Krieg mit ihnen ist von den Böhmen geführt worden, wobei ihr
König Lele gefangen genommen worden ist, nachdem dessen Heer ver-
nichtet worden war.
Weiterführende Literatur
- Althoff, Gerd: Die Ottonen. Königsherrschaft ohne Staat, 3. Auflage, Stuttgart 2012.
- Becher, Matthias: Otto der Große. Kaiser und Reich. Eine Biographie, München 2012.
- Bowlus, Charles: Die Schlacht auf dem Lechfeld, Ostfildern 2012.
- Laudage, Johannes: Otto der Große (912-973). Eine Biographie, Regensburg 2012.