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Ansbacher Memoire 1796

In verschiedenen Positionen beeinflusste Maximilian Freiherr von Montgelas zunächst passiv als Berater und später aktiv als Minister verschiedener Bereiche entscheidend die Politik in Bayern.

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Eigenhändiges Manuskript des Maximilian Joseph von Montgelas (Dok. 2)

Übersetzung

Auzug aus dem Ansbacher Mémoire:

Denkschrift, überreicht seiner Durchlaucht, dem Herzog, am 30. September 1796


Einer der größten Fehler der bayerischen Verwaltung liegt in der mangelhaften
Organisation des Ministeriums. Die genaue Verteilung der Geschäftsbereiche
(Départements), unentbehrlich zum Erhalt der Ordnung und zur ordentlichen
Abwicklung der Geschäfte, ist dort vollkommen unbekannt. Der größte Teil der
Minister nimmt nur pro forma an den Sitzungen des Rates teil. Tatsächlich ist der
Kanzler der einzige Arbeiter. An ihn wird alles übergeben. Er allein bereitet die
Angelegenheiten, die sich der Herrscher persönlich zur Entscheidung vorbehalten
hat, vor und leitet sie weiter. Diese Übereinkunft, angemessen für das Mittelalter,
als die Arbeit der Regierungsangestellten durch Einfachheit der Handhabung
erleichtert und verkürzt wurde, ist heutzutage nicht mehr zeitgemäß, da die Dinge
komplizierter geworden sind.

Es folgt daraus nur, daß dieser Minister, unfähig einer Arbeit zu genügen, die das
Menschenmögliche übersteigt, gezwungen ist, an Untergebene zu delegieren, die
fast immer ungenügend ausgebildet und oft sehr korrupt sind. Mehr als einmal hat
ein einfacher Schreiber in letzter Instanz über Glück und Unglück einer respektablen
Familie entschieden.
Man könnte diesem vorrangigen Problem leicht abhelfen, wenn man sich dazu
entschließen würde, die Départements nach rationalen Gesichtspunkten
aufzuteilen, indem man die Themen trennt, die von Natur aus nicht dafür
geschaffen sind, vermischt zu werden, indem man genaue Grenzen zwischen den
Abteilungen definiert, indem man die Platzhirsche, die bisher an der Spitze der
Büros standen, durch kompetente Personen ersetzt; sie sollten fähig sein,
Untergebene zu beaufsichtigen, gegebenenfalls deren Vorstellungen zu berichtigen,
und in jeder Hinsicht dem Vertrauen entsprechen, mit dem der Fürst sie ehrt. Ein
Haken, den man auf jeden Fall vermeiden sollte, wäre die zu große Bescheidenheit
bei den Bezügen.
Jedes Individuum, das seine Zeit dem Dienst am Staat verschreibt, hat einen
berechtigten Anspruch auf angemessene Entlohnung während seines Lebens,
entsprechend dem gesellschaftlichen Rang, den es einnimmt, und nach seinem Tod
auf eine angemessene Entschädigung für seine Frau und seine Kinder. Bisher ist
man genau in die entgegengesetzte Richtung gegangen; man glaubte unendlich zu
gewinnen, indem man sich billig dienen ließ. Das Ergebnis war, daß man bei der
Vergabe wichtiger Posten nur unter den Begüterten wählen konnte, also dabei die
wirtschaftlichen Möglichkeiten über den Verdienst eines Menschen stellte; und
wenn es, durch einen seltenen Zufall, einem arm geborenen Bürger gelang, seinen
Weg zu gehen, so war er gezwungen, sich aus eigener Tasche zu finanzieren und
illegal das zu ergattern, was die Regierung ihm aus ungerechtfertigter Sparsamkeit
vorenthielt. Die Veruntreuungen waren bekannt, wurden jedoch nicht bestraft, weil
man sich nicht verhehlen konnte, daß die falsch verstandene Sparsamkeit, an der
man jedoch unverrückt festhielt, dafür der Hauptgrund war. Der vollständige
Verlust von Prinzipien, das komplette Erschlaffen politischer Moral, das diese
tückische Maxime in den pfalz-bayerischen Provinzen erzeugt hat, lassen einen
erzittern. Eine mehrere Jahre andauernde, unparteiische und strenge Verwaltung
wird gerade genügen, um die durch Gewohnheit der langjährigen Käuflichkeit
korrumpierten Menschen zu gesunden Grundsätzen zurückzubringen.
Es wäre unmöglich, für einen einzelnen Amtsleiter allen Einzelheiten seines
Geschäftsbereiches zu genügen, egal, welche Fähigkeiten man ihm zuschreibt. Er
könnte nicht auf Mitarbeiter verzichten. Es stellt sich hier natürlich die Frage, ob
ihm die Wahl der Referendäre seiner Abteilungen obliegen soll, oder ob es
angemessener ist, wenn der Herrscher sich an seiner Stelle darum kümmert.
Ersteres wurde von den Ministern stark befürwortet. Sie gaben vor, die
Verantwortung nur für solche Untergebenen übernehmen zu können, denen sie
vertrauten; indem man sie zwinge, die Referendäre von fremder Hand zu
akzeptieren, beschneide man zu sehr ihre Autorität und schade der Harmonie
sowie dem Dienstgehorsam. Auf den ersten Blick erscheint diese Überlegung
plausibel. Sie verliert jedoch viel von ihrer Überzeugungskraft, wenn man an den
unschätzbaren Vorteil denkt, den man mit der Möglichkeit gewinnt, ehrbare Bürger
einzustellen, die auf Grund ihrer guten Bildung Anspruch auf diese Stelle erheben
können. Man wird sie [jedoch] nur dann hierzu bewegen, wenn ein Patent des
Fürsten ihre Existenzgrundlage sichert. Man kann sich im übrigen schwerlich
darüber hinwegtäuschen, daß allein die Beständigkeit der Untergebenen den Ersatz
für den mehr oder weniger häufigen Wechsel der Vorgesetzten schafft, der in der
Natur der Arbeit sowie in den Verbindungen der Minister liegt, und die somit in
jedem Zweig die Einheitlichkeit der Prinzipien aufrechterhält, diesen Geist von
Ganzheitlichkeit und Kontinuität, der die Seele einer Verwaltung darstellt. Aus
Vorsicht ist es vielleicht angebracht, ein Gegengewicht zur zu großen Macht der
Minister zu bilden, indem man unabhängig von ihrem Willen die Dauer der
Tätigkeit der Referendäre festlegt. Ihren Vorgesetzten in allen Fragen der Ordnung
sowie der Führung der Geschäfte untergeordnet, werden sie niemals ihren
Fortgang behindern und keine Macht haben, das „Gute“ zu verhindern oder zu
hemmen. Ihr fester und gemeinsamer Wille wird jedoch die Kraft besitzen, einem
Unrecht zu widerstehen, das eine Intrige erzwingen wollte. Auf ihren Posten sind
die Menschen von allen Seiten von Verführung und Irrtum umgeben. Mit der
Gesamtheit einer weitreichenden Verwaltung beschäftigt, haben sie weder die Zeit
noch die Mittel, um alle Details zu erfassen. Indem man ihnen mehr Möglichkeiten
gibt, sich kundig zu machen, gibt man ihrer Moral eine stabile und notwendige
Basis.
Man würde diesem Ziel noch näher kommen, man würde jeder Handlung der
Regierung den unschätzbaren Vorteil einer gründlichen Besprechung einräumen,
wenn man dem Vorschlag folgen würde, die Verantwortlichen der mit inneren
Fragen beschäftigten Départements und ihre Referendäre in ordentlicher Sitzung zu
versammeln, wobei letztere mit dem Bericht betraut wären. Allein die Minister
hätten entscheidende Stimme. Die Beschlüsse würden nach der Mehrheit der
abgegebenen Stimmen gefaßt werden. Jede Provinz würde in jedem Département
durch einen einheimischen Referendär vertreten, um so keine der Erkenntnisse zu
verlieren, die lokale Kenntnisse liefern. Auch würde man Neid und Beschwerden
zuvorkommen, indem man jeder Provinz einen ungefähr gleichwertigen Anteil an
der Regierung zugestehen würde. Preußen hat in seinem Generaldirektorium eine
Einrichtung, die derjenigen, die wir hier vorschlagen, ähnlich ist. (Hier endet das
Faksimile.) Die kontinuierliche Erfahrung seit 1723 hat ihren Nutzen gezeigt. Durch
die genaue Aufteilung der Départements erhält man sich die Vorteile des französischen
Ver waltungssystems, verhindert [jedoch] gleichzeitig deren un heilvollsten
Mißbrauch, indem man den sich einschleichenden ministeriellen Despotismus
abwehrt, der unmerklich versucht, die [verfassungsmäßigen] Formen zu untergraben,
um an ihre Stelle die Willkür der Vorgesetzten und das Spiel der
Be günstigung zu stellen.


(Übersetzung: Oliver Zeidler nach der Transkription von Eberhard Weis in ZBLG 33
(1970), S. 243 bis 256. In: Bayern entsteht. Montgelas und sein Ansbacher Mémoire
von 1796. Katalog zur Ausstellung des Hauses der Bayerischen Geschichte in
Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv in Ansbach und München
1996/97. Hrsg. v. Michael Henker u.a. Veröffentlichungen zur Bayerischen
Geschichte und Kultur 32/96, Augsburg 1996, S. 23f.)