Biografien des Bösen

 

Kaum ein anderer Politiker des „Dritten Reiches“ hat das Bild des nationalsozialistischen Regimes so stark geprägt wie der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda Joseph Goebbels. Er sorgte für die staatliche Lenkung der Presse, des Rundfunks und des Films, er gilt als der Schöpfer des Hitler-Mythos und als der Verkünder des „totalen Krieges“. Obwohl er bis zum Ende des „Dritten Reiches“ als treuer Propagandist seines „Führers“ fungierte, war er allerdings in zentrale politische Entscheidungen des Regimes kaum eingebunden. Über seine Denkweise sind wir jedoch besonders gut informiert, da er seit seiner Jugendzeit und bis kurz vor seinem Selbstmord am 1. Mai 1945 fast täglich ein ausführliches Tagebuch führte – insgesamt mehr als 7.000 handgeschriebene und über 36.000 diktierte Blätter.

 

Biografien des Bösen - Joseph Goebbels

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Transkription: Tagebucheinträge von Joseph Goebbels vom 10. und 11. November 1938 

10. November 1938. (Do.)

Gestern: der traditionelle Marsch vom Bürgerbräu zur Feldherrnhalle und dann zum Königlichen Platz. Es ist ein grauer Novembertag. Unübersehbare Menschenmassen umsäumen die Straßen. Am Königlichen Platz die große Totenfeier. Sehr würdig und stimmungsvoll.

Mit Ley palavert. Er ist ein guter Kerl. Auch er hat es manchmal satt und sehnt sich nach Ruhe. Er beklagt sehr, daß er so selten mit dem Führer zusammenkommt.

Lutze schimpft mächtig über die S.S. Nicht ganz mit Unrecht, zum Teil aber auch aus Konkurrenzneid. Himmler hat doch allerhand auf die Beine gestellt.

Im Hotel Arbeit: der Ausbau des Rund- und Drahtfunks soll nun tatkräftig in die Hand genommen werden. Ich verlange jetzt genaue Termine.

Die Theater im Sudetengau erfordern große Zuschüsse. Ich bewillige sie gleich, damit sie überhaupt mal wieder anfangen können zu spielen.

Es bekümmern sich jetzt im Gegensatz zu früher zu viele um die Presse. Das tut auch nicht gut. Ich lasse das ein wenig abstellen.

Das Befinden des von dem Juden angeschossenen Diplomaten Raths in Paris ist weiterhin sehr ernst. Die deutsche Presse geht mächtig ins Zeug.

Die Rede des Führers im Bürgerbräu findet im In- und Auslande ein sehr starkes Echo.

Helldorff [Richtig: Helldorf] läßt in Berlin die Juden gänzlich entwaffnen. Die werden sich ja auch noch auf einiges andere gefaßt machen können.

Moskau proklamiert aufs Neue die Weltrevolution. Unter dem großen und weisen Weltmarschall Stalin. Aber das klingt alles so hohl. Moskau hat in der Tschechenkrise sein ganzes Prestige eingebüßt. Das kann mit Phrasen nicht mehr aufgeholt werden.

Den Nachmittag an meinem neuen Buch gearbeitet. Das macht mir jetzt richtigen Spaß.

Dietrich hat gegen Berndts Artikel, der auf meine Veranlassung geschrieben wurde, gemeckert. Aber mehr gegen Berndt. Gut, daß Berndt in eine neue Abteilung kommt.

In Kassel und Dessau große Demonstrationen gegen die Juden, Synagogen in Brand gesteckt und Geschäfte demoliert. Nachmittags wird der Tod des deutschen Diplomaten vom Rath gemeldet. Nun aber ist es g[ar].

Ich gehe zum Parteiempfang im alten Rathaus. Riesenbetrieb. Ich trage dem Führer die Angelegenheit vor. Er bestimmt: Demonstrationen weiterlaufen lassen. Polizei zurückziehen. Die Juden sollen einmal den Volkszorn zu verspüren bekommen. Das ist richtig. Ich gebe gleich entsprechende Anweisungen an Polizei und Partei. Dann rede ich kurz dementsprechend vor der Parteiführerschaft. Stürmischer Beifall. Alles saust gleich an die Telephone. Nun wird das Volk handeln.

Einige Laumänner machen schlapp. Aber ich reiße immer wieder alles hoch. Diesen feigen Mord dürfen wir nicht unbeantwortet lassen. Mal den Dingen ihren Lauf lassen. Der Stoßtrupp Hitler geht gleich los, um in München aufzuräumen. Das geschieht denn auch gleich. Eine Synagoge wird in Klump geschlagen. Ich versuche sie vor dem Brand zu retten. Aber das mißlingt.

Unterdeß unterhalte ich mich mit Schwarz über Finanzfragen. Mit Streicher über die Judenfrage. Mit Ribbentrop über Außenpolitik. Auch er ist der Meinung, daß man die Tschechei nun auf kaltem Wege einsacken kann. Man muß es nur geschickt anfangen. Chvalkovski [Richtig: Chvalkovský] will. Ob auch die andern, das weiß man nicht.

Mit Wagner zum Gau. Ich gebe noch ein präzises Rundschreiben heraus, in dem dargelegt wird, was getan werden darf und was nicht. Wagner bekommt kalte Füße und zittert für seine jüdischen Geschäfte. Aber ich lasse mich nicht beirren. Unterdeß verrichtet der Stoßtrupp sein Werk. Und zwar macht er ganze Arbeit. Ich weise Wächter in Berlin an, die Synagoge in der Fasanenstraße zerschlagen zu lassen. Er sagt nur dauernd: "Ehrenvoller Auftrag".

S.S. Vereidigung vor der Feldherrnhalle. Um Mitternacht. Sehr feierlich und stimmungsvoll. Der Führer spricht zu den Männern. Zu Herzen gehend.

Ich will ins Hotel, da sehe ich den Himmel blutrot. Die Synagoge brennt. Gleich zum Gau. Dort weiß noch niemand etwas. Wir lassen nur soweit löschen, als das für die umliegenden Gebäude notwendig ist. Sonst abbrennen lassen. Der Stoßtrupp verrichtet fürchterliche Arbeit. Aus dem ganzen Reich laufen nun die Meldungen ein: 50, dann 7[5] Synagogen brennen. Der Führer hat angeordnet, daß 2[5]-30 000 Juden sofort zu verhaften sind. Das wird ziehen. Sie sollen sehen, daß nun das Maß unserer Geduld erschöpft ist.

Wagner ist noch immer etwas lau. Aber ich lasse nicht locker. Wächter meldet mir, Befehl ausgeführt. Wir gehen mit Schaub in den Künstlerklub, um weitere Meldungen abzuwarten. In Berlin brennen 5, dann 15 Synagogen ab. Jetzt rast der Volkszorn. Man kann für die Nacht nichts mehr dagegen machen. Und ich will auch nichts machen. Laufen lassen.

Schaub ist ganz in Fahrt. Seine alte Stroßtruppvergangenheit erwacht.

Als ich ins Hotel fahre, klirren die Fensterscheiben. Bravo! Bravo! In allen großen Städten brennen die Synagogen. Deutsches Eigentum ist nicht gefährdet.

Im Augenblick ist nichts Besonderes mehr zu machen. Ich versuche, ein paar Stunden zu schlafen.

Morgens früh kommen die ersten Berichte. Es hat furchtbar getobt. So wie das zu erwarten war. Das ganze Volk ist in Aufruhr. Dieser Tote kommt dem Judentum teuer zu stehen. Die lieben Juden werden es sich in Zukunft überlegen, deutsche Diplomaten so einfach niederzuknallen.

Und das war der Sinn der Übung.

Ich habe noch allerhand zu arbeiten. Jannings will mit Gewalt seinen Film retten. Aber ich kann ihm auch nicht helfen.

Der Rundfunk auf über 10 Millionen Hörer gestiegen. Ein phantastisches Ergebnis, das sehr erfreulich ist.

Ich gebe Anweisung, daß Verbote im Bereich des ganzen Ministeriums nur von mir ausgesprochen werden dürfen. Sonst geschieht zuviel Blödsinn.

Man will zum 80. Geburtstag des Kaisers Gedenkfeiern machen und Lobesartikel schreiben. Ich wäre damit einverstanden, wenn auch die Seite gegen den Kaiser ebenso zu Wort kommen könnte. Aber da zucken die Reaktionäre zurück.

Bei den Wahlen in Amerika Freunde Roosevelts vielfach geschlagen. Starker Gewinn der Republikaner. Aber das sagt noch nichts gegen Roosevelt selbst.

London läßt Teilung Palästinas fallen. Damit kommen die Engländer doch nicht durch.

Führerrede im Bürgerbräu findet ein sehr aggressives Echo in London und Paris. Das war ja auch zu erwarten. Wenn man den Kriegshetzern auf die Finger klopft, dann schreien sie auf.

Den ganzen Morgen regnet es neue Meldungen.

Ich überlege mit dem Führer unsere nunmehrigen Maßnahmen.

Weiterschlagen lassen oder abstoppen?

Das ist nun die Frage.

 

11. November 1938. (Fr.)

Gestern: Müller erstattet Bericht über die Vorgänge in Berlin. Dort ist es ganz toll hergegangen. Brand über Brand. Aber das ist gut so.

Ich setze eine Verordnung auf Abschluß der Aktionen auf. Es ist nun gerade genug. Lassen wir das weitergehen, dann besteht die Gefahr, daß der Mob in die Erscheinung tritt. Im ganzen Lande sind die Synagogen abgebrannt. Diesen Toten muß das Judentum teuer bezahlen.

In der Osteria erstatte ich dem Führer Bericht. Er ist mit allem einverstanden. Seine Ansichten sind ganz radikal und aggressiv. Die Aktion selbst ist tadellos verlaufen. 17 Tote. Aber kein deutsches Eigentum beschädigt.

Mit kleinen Änderungen billigt der Führer meinen Erlaß betr. Abbruch der Aktionen. Ich gebe ihn gleich durch Presse und Rundfunk heraus. Der Führer will zu sehr scharfen Maßnahmen gegen die Juden schreiten. Sie müssen ihre Geschäfte selbst wieder in Ordnung bringen. Die Versicherungen zahlen ihnen nichts. Dann will der Führer die jüdischen Geschäfte allmählich enteignen und den Inhabern dafür Papiere geben, die wir jederzeit entwerten können. Im Übrigen hilft sich das Land da schon durch eigene Aktionen. Ich gebe entsprechende Geheimerlasse heraus. Wir warten nun die Auswirkungen im Ausland ab. Vorläufig schweigt man dort noch. Aber der Lärm wird ja kommen.

Kemal Atatürk ist gestorben. Ein großer Mann dahingegangen. Hauptsächlich wohl durch eigene Zuchtlosigkeit. Aber ich glaube, daß das für uns kein Schaden ist. Aber die Türkei ist dadurch praktisch führerlos.

Im Hotel weitere Arbeit. Ich gebe noch ein paar Rundrufe heraus. Damit glaube ich ist die Judenaktion vorläufig erledigt. Wenn nicht noch ein paar Nachspiele kommen.

Die Juden sind am Ende doch sehr dumm. Und sie müssen ihre eigenen Fehler teuer bezahlen.

Ich telephoniere mit Heyderich [Richtig: Heydrich]. Auch der Polizeibericht aus dem ganzen Reich entspricht meinen Informationen. Es ist somit alles in Ordnung. Nur in Bremen ist es zu einigen unliebsamen Exzessen gekommen. Aber die tauchen gänzlich unter in der Großaktion. Ich mache mit Heyderich [Richtig: Heydrich] die Zusammenarbeit zwischen Partei und Polizei in dieser Frage aus.

Bis zum Abend noch weitergearbeitet. Es kommen Meldungen aus Berlin über ganz schwere antisemitische Ausschreitungen. Jetzt geht das Volk vor. Aber nun muß Schluß gemacht werden. Ich lasse an Polizei und Partei dementsprechende Anweisungen ergehen. Dann wird auch alles ruhig.

Empfang des Führers für die Presse im Führerbau. Der Führer ist sehr nett. Etwa 400 Pressevertreter. Der Führer hält eine großartige Rede. Über Sinn und Wert der Propaganda, deren Erfolge er sehr lobt und über die Aufgabe der Presse.

 

Aus Elke Fröhlich (Hg.): Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte und mit Unterstützung des Staatlichen Archivdienstes Rußlands, Teil I, Aufzeichnungen 1923-1941, Band 6, August 1938 - Juni 1939, bearbeitet von Jana Richter. München, K. G. Saur Verlag, 1998, S. 179-183.